Weißt Du noch, was das Ziel war?
Das Ziel des Projekts Seelenschluckauf?
Genau:
"Ich selbst werden"
Naja…
Eigentlich erst einmal herausfinden, wer ich eigentlich bin…
Oder besser, wer ich eigentlich sein will…
Was entspricht eigentlich meiner Persönlichkeit? Was entspricht meinem Charakter? Was meinen Werten und Normen? Wofür möchte ich stehen? Wofür möchte ich EINstehen?
Wann habe ich das Gefühl, wirklich "Ich Selbst" zu sein? Authentisch, echt?
Um das herauszufinden, musste ich die Reset-Taste drücken. Alles auf Anfang. Alles auf Null.
Ich habe meine Masken abgelegt. Im doppelten Sinne.
- Ich habe aufgehört, ständig eine Rolle zu spielen.
Die Rolle der zielstrebigen Wissenschaftlerin, die Rolle der zukünftigen Businessfrau, die Rolle der perfekten Partnerin, der perfekten Tochter, der perfekten Freundin, der perfekten Kollegin, Mitarbeiterin, Mieterin, Nachbarin, Hausfrau.
Ich habe mich gezeigt.
In meiner ganzen Schwäche, in meiner ganzen Not, mit all den dunklen Seiten, mit all den Problemen, all den Selbstzweifeln.
Ich habe mich gezeigt, wie ich in Wirklichkeit bin – völlig unperfekt… - Ich habe aufgehört, meine Vergangenheit zu verleugnen.
Ich habe aufgehört, die Wahrheit zu verschleiern, Offensichtliches abzustreiten, Ausreden zu erfinden. Ich konnte, ich WOLLTE ihn nicht mehr verleugnen, meinen Seelenschluckauf…
Die Maske komplett fallen zu lassen, radikal ehrlich und vor allem maximal öffentlich, im Internet – das war die Absicht, das war die Intention als Seelenschluckauf das Licht der Welt erblickte.
Authentizität als Mittel zum Zweck?
"Man selbst sein" heißt, authentisch sein.
Und Authentizität scheint gefragt in der heutigen Zeit.
Eine Google-Suche mit dem Stichwort "authentisch" ergibt 17,4 Mio Treffer. Vor acht Jahren, 2010, waren es noch über zehnmal weniger, glaubt man dem Autor eines Artikels der Karrierebibel.
Es verwundert auch nicht, dass wir uns angesichts unserer schnelllebigen Gesellschaft nach Authentizität sehnen. Angesichts des vielen Schein statt Sein. Angesichts der vielen unechten, gestellten, bearbeiteten Bilder, mit denen wir über die sozialen Medien täglich konfrontiert sind. Angesichts der ständigen "Seht-her-wie-gut-es-mir-geht"-, "Was-für-ein-tolles-Leben-ich-habe"-, "Kannst-Du-da-mithalten?"- Posts auf Instagram, Facebook und Co.
Es verwundert nicht, dass wir uns angesichts dessen nach Authentizität sehnen, nach Ehrlichkeit, Echtheit, Glaubwürdigkeit, ja, nach ungeschönter Wahrheit, Realität.
So kommt es, dass Authentizität in vielen Kreisen inzwischen als DER Schlüssel zum Erfolg gepriesen wird. So kommt es, dass Menschen, die privat oder von Berufs wegen beachtet, bewundert, unterstützt werden wollen, von allen Seiten geraten bekommen:
"Sei Du selbst! Sei authentisch! Dann bist Du glaubwürdig!
Dann werden Dich die Menschen lieben!"
Yeah, da habe ich ja jetzt beste Voraussetzungen für maximalen Erfolg!
Ach ne, Moment!
Authentisch ja! – aber doch nicht uneingeschränkt!
Deine täglichen Probleme aus dem Bett zu kommen? Dein Outing als Kaffeejunkee?
Ja, das ist gut, damit können sich die Menschen identifizieren, das passt zum "Branding".
Deine Schwierigkeiten über den Tod Deines Haustiers hinwegzukommen? Deine zahlreichen Besuche bei einer Therapeutin?
Nein, das geht zu weit, das ist peinlich, lässt Dich schwach erscheinen, passt nicht ins Bild!
Authentizität ist der Schlüssel zum Erfolg.
Diese Art der Authentizität braucht Heerscharen von Beratern, braucht genaue Abwägung von jedem Detail, von jeder Facette Deiner Persönlichkeit. Diese Art der "selektiven Authentizität" wie es der Autor eines Artikels in der Zeit so treffend benennt, meint nicht, die Maske abzulegen. Diese Art der Authentizität mein nicht, Dein wahres Gesicht zu zeigen. Diese selektive Authentizität meint vielmehr, die Maske ein Stück weit Deinem Gesicht anzupassen. Sodass sie besser sitzt, sodass es einfach echter wirkt, glaubwürdiger, sodass es schwieriger wird, Dich zu demaskieren.
Doch, wenn wir uns alle mehr authentische Menschen – WIRKLICH authentische – ehrliche, echte Menschen wünschen, warum tragen wir dann alle so oft eine Maske? Warum sind wir dann alle so selten wirklich "Wir Selbst"? Und wenn, dann höchstens selektiv?
Ganz und gar man selbst zu sein, kann schon einigen Mut erfordern.
Das Problem mit der Authentizität
"Du selbst sein" ist nicht einfach.
Dazu musst Du zunächst einmal wissen, wer Du eigentlich bist.
Oder besser, wer Du gerade jetzt, zu diesem Zeitpunkt, in diesem Zusammenhang sein willst.
Das weißt Du?
Das passt zur allgemein anerkannten Meinung? Zu den allgemein anerkannten Normen? Zu den Einstellungen aller Beteiligten?
– Puh, Glück gehabt! Dann ist es einfach, mit Gegenwind kaum zu rechnen.
Aber was wenn nicht?
Dann birgt Authentizität Gefahr.
Dann läufst Du Gefahr, anzuecken, negative Reaktionen hervorzurufen. Dann läufst Du Gefahr, dass die Anderen schlecht über Dich denken, dass sie Dich anfeinden, niedermachen, ausgrenzen.
Dann authentisch zu bleiben, bedeutet, Dich der Angst zu stellen. Der Angst nicht akzeptiert, nicht gemocht, nicht geliebt zu werden.
Dazu kommt noch die mindestens genauso berechtigte Angst vor direkten, manifesten Konsequenzen.
Werde ich meinen Job verlieren, wenn ich meinem Chef widerspreche? Wenn ich mich weigere, etwas zu tun, das meinen Werten widerspricht? Trennt sich mein Partner von mir, wenn ich ihn krisitiere? Brechen meine Eltern, meine Angehörigen, Freunde den Kontakt zu mir ab, wenn ich Probleme offen anspreche?
All diese Gefahren sind real.
Diesen Gefahren musst Du Dir bewusst sein.
Diese Gefahren sind der Preis, den Du zahlen musst für absolute Authentizität.
Ich war mir der Gefahren nicht bewusst.
Ich blendete sie aus. Fühlte die Angst vor den Gefahren nicht.
So viel größer war mein Drang, mich endlich zeigen zu dürfen, mit allen Facetten, mit den dunklen Seiten genauso wie den hellen.
So viel größer war die Wut. Die Wut auf all die Heuchelei, die Wut auf das tägliche Maskenspiel, das ich all die Jahre so bereitwillig mitgespielt hatte.
Wäre ich zum Start von Seelenschluckauf nicht so am Tiefpunkt gewesen, hätte ich mich nicht in einer emotional so ausweglos scheinenden Situation befunden, hätte ich nicht das Gefühl gehabt, nichts mehr zu verlieren zu haben – diese Gefahren hätten mich vielleicht abgehalten. Vielleicht hätten mich diese Gefahren, die Angst vor möglichen Konsequenzen abgehalten, die Maske fallen zu lassen, von einem Tag auf den anderen authentisch zu sein.
Authentisch im Sinne von offen, im Sinne von ehrlich.
Was meine Vergangenheit angeht, was meinen Seelenschluckauf angeht, sogar im Sinne von bedingungslos offen, im Sinne von radikal, erbarmungslos ehrlich.
Eigentlich bin ich ganz anders, ich komme nur so selten dazu.
Das Schöne an der Authentizität
"Ich selbst Sein" war erstaunlich einfach.
Ohne Angst, mit dem Mut der Verzweiflung alle Gefahren ausgeblendet, war "Ich selbst Sein" erstaunlich einfach. Und erleichternd. Und befreiend. Und erholsam.
Früher
Im Nachhinein betrachtet, war es unglaublich anstrengend, ständig eine Rolle zu spielen.
Es war unglaublich anstrengend mich ständig in irgendeine Richtung zu verbiegen, ständig so zu handeln, so zu denken, so zu sein, wie Andere es erwarten. Oder zumindest vermeindlich erwarten…
Im Nachhinein betrachtet, wollte ich mein ganzes Leben lang gefallen.
Ich wollte dazu gehören. Ich wollte respektiert werden. Ich wollte gemocht werden.
Um jeden Preis.
Was dazu führte, dass ich oft über meine Grenzen ging. Dass ich Dinge tat, die mir im Innersten widerstrebten, die mir, meinem Herzen, meiner Seele nicht gut taten.
Was dazu führte, dass ich auf Parties, in Clubs, auf Veranstaltungen ging, auf denen ich mich nicht wohl, ja völlig deplatziert fühlte. Dass ich über Sprüche lachte, die ich völlig daneben fand. Dass ich Menschen ein offenes Ohr lieh, wenn ich selbst dringend eines gebraucht hätte. Dass ich Aufgaben übernahm, die mir zu viel waren. Dass ich zusah, wie andere ungerecht behandelt, zu Unrecht angegangen, niedergemacht wurden – zutiefst mitfühlend, aber tatenlos.
Und das nicht nur im Teenageralter, sondern auch im Studium und dann im Beruf. In einem Alter, in dem ich es schon lange besser hätte wissen sollen.
Fast mein gesamtes Leben lief es so:
Ging es mir schlecht, war ich müde, ausgelaugt, wollte ich eigentlich nur nach Hause, allein, für mich sein, kannte ich nur zwei Optionen:
Durchhalten und Lächeln – oder eine Ausrede erfinden. Und im Erfinden von Ausreden war ich irgendwann gut…
Ich wollte gemocht werden.
Doch es funktionierte nicht.
Umso mehr ich versuchte mich anzupassen, umso mehr ich versuchte, wie die Anderen zu sein, umso mehr ich versuchte, dazu zu gehören, umso weniger tat ich es.
Ein ständig wiederkehrendes Muster. Unglaublich anstrengend, zermürbend, verletzend, deprimierend.
Der Schluss, den ich im Inneren zog?
Keiner mag Dich so wie Du bist!
Der Fehler?
Ich WAR ja gar nicht, so wie ich BIN!
Vielleicht ließ ich die Maske auch deshalb fallen. Weil ich keine Kraft mehr hatte. Weil das ständige Hochhalten einer Maske, das ständige, nie enden wollende Rollenspiel meiner Seele zu anstrengend geworden war, weil ich einfach nicht mehr konnte.
Ja, vielleicht…
Heute
Jetzt, heute, an diesem Punkt in meinem Leben bin ich unglaublich dankbar dafür.
Dadurch durfte ich die Erfahrung machen, wie viel besser das Leben ohne Maske ist. Wie viel leichter, entspannter, einfacher.
Nichts zu müssen, einfach nur zu sein – ein wunderbares Gefühl.
Innerlich friedlich … ruhig … irgendwie.
Paradoxerweise mögen mich die Menschen, seither nicht weniger, sondern mehr.
Ich bin den Menschen sympathischer … anscheinend … irgendwie.
Ich selbst konnte es lange Zeit nicht wirklich zuordnen, warum mir die meisten Menschen plötzlich wohlwollend gegenübertraten. Warum mich Horden von 14jährigen Schülern innerhalb kürzester Zeit als „Lehrer auf Zeit“ akzeptierten. Warum mir unbekannte Menschen als Rednerin oder Dozentin respektvoll Gehört schenkten. Warum Projektpartner, Kollegen und Kunden meiner neuen Selbständigkeit gerne mit mir zusammenarbeiteten.
Ich konnte es nicht verstehen.
Vor kurzem dann meinte eine Freundin:
"Anna, die Menschen mögen Dich.
Die Menschen mögen Dich, weil Du echt bist.
Unverstellt, ehrlich, AUTHENTISCH!"
Vielleicht, ganz vielleicht, hat meine Freundin Recht…
Wie steht es um Deine Authentizität?
Auch heute trage ich immer mal wieder eine Maske.
Auch heute noch gibt es Momente, da halte ich es für angebracht, da erleichtert es mir den Alltag, da erfordert es die Situation. Muss doch die Verkäuferin im Supermarkt nicht mitbekommen, dass ich gerade ein schwieriges Gespräch hatte. Muss doch meine Vermieterin nicht wissen, dass die Selbständigkeit noch auf wackeligen Füßen steht. Muss doch der Obdachlose, dem ich am Bahnhof einen Kaffee spediere, nicht merken, wie unangenehm mir sein Körpergeruch ist.
Der große Unterschied zu früher?
Das Rollenspiel erfolgt bewusst. Nicht aus Angst. Es erfolgt dosiert, punktuell.
Denn seitdem ich erfahren durfte, wie wunderschön, wie leichtfüßig das Leben ist, wenn ich "Ich Selbst Sein" kann – seitdem ist mir das Tragen einer Maske zu anstrengend geworden…
Wie ist das bei Dir?
Trägst Du eine Maske? Immer und ständig? Verschiedene? Abwechselnd?
Ist Dir auch schon einmal aufgefallen, wie anstrengend das eigentlich ist?
Was denkst Du, würde passieren, wenn Du "einfach mal Du Selbst" wärst?
Magst Du es nicht einmal ausprobieren? So als kleiner Feldversuch? Vielleicht in einem begrenzten Zeitraum? Mal einen Monat lang, eine Woche, zumindest einen Tag? Vielleicht sind die Konsequenzen in Deinem Kopf viel schrecklicher, als sie in Wahrheit sein werden?
Aber Vorsicht!
Ich muss Dich warnen!
Die Gefahr ist groß, dass Du – wie ich – Gefallen daran finden wirst! Dass Du – wie ich – nach diesem Versuch die Maske am liebsten nie wieder aufsetzen möchtest…
Eine Welt voller authentischer, echter Menschen – wäre das nicht wundervoll?
Höhepunkt des Glückes ist es, wenn der Mensch bereit ist, das zu sein, was er ist.
Links in diesem Beitrag:
Zum Blogbeitrag: Wer willst Du sein? – wie alles begann
Zum Artikel in der Karrierebibel: Karrierebibel.de
Zum Artikel in der Zeit: Zeit.de
Zur Google-Suche: authentisch